Ausschnitt aus "Eine Leiche in der Bleiche" zum Mythos Appenzell
            Genauer gesagt „Sortenorganisation Appenzeller Käse
              GmbH“, ein ziemlich kompliziertes Gebilde, was mich aber nicht weiter zu
              kümmern braucht. Den grundsätzlichen Auftrag der Sortenorganisation habe ich
              rasch begriffen: »Zu den Kernaufgaben der Sortenorganisation gehört es, Marke
              und Herkunft zu schützen, Qualität und Absatz zu fördern, die
              öffentlich-rechtlichen Aufgaben zu übernehmen, die Produktion zu planen und zu
              regulieren, marktgerechte Preise festzusetzen und die Appenzeller
              Käsewirtschaft gegenüber Behörden und Öffentlichkeit zu vertreten.« 
                 Ich selbst habe es „nur“ mit der Leiterin Marketing und Kommunikation zu
              tun, einer gewissen Margrit Krummenacher. Sie sandte mir vor einiger Zeit ein
              Mail, in dem sie auf einen Artikel über Marken-Mythen verwies, den ich kurz
              zuvor auf meine Website gestellt hatte, wie ich es manchmal tue, wenn mir etwas
              zu einem interessanten Thema einfällt und ich gerade nichts Gescheiteres zu tun
              habe. Wieder einmal war ich erstaunt darüber, dass überhaupt jemand meine
              Ergüsse liest, und diesmal war ich sogar hoch erfreut, weil mich Frau
              Krummenacher zu einem Gespräch über ein mögliches Projekt nach Appenzell
              einlud. Offenbar handelte es sich um ein Buchprojekt, mehr war aus dem Mail
              nicht zu erfahren.
                 Ich fuhr also auf den üblichen krummen Wegen mit den öffentlichen
              Verkehrsmitteln nach Appen-zell. Dort empfing mich eine nicht mehr ganz junge
              Dame aufs Netteste. Und was ich durch eine kleine Recherche im Internet schon
              herausgefunden hatte, bestätigte sich: Margrit Krummenacher war die
              Idealbesetzung für diese Rolle. Ihre Erfahrung ist immens, und ihr Sinn für den
              kleinen, aber feinen Unterschied, der das Geheimnis erfolgreicher Markenpflege
              bildet, ist mehr als ausgeprägt.
                 Dass ich fast ein bisschen ins Schwärmen gerate, hat seinen guten Grund.
              Immerhin ist Margrit Krummenacher verantwortlich für die seit Jahren höchst
              erfolgreich funktionierende und immer nur leicht abgewandelte Kampagne mit den
              Sennen als Sympathie- und Geheimnisträgern. Die Botschaft dabei ist immer
              dieselbe: Komme, was wolle – das Geheimrezept verraten die Appenzeller
              nie.
                 Ich kann bis heute nur staunen über die Genialität dieser immer wieder
              gekonnt und witzig umgesetzten Botschaft. Zunächst bedeutet sie: Das Geheimnis
              ist sicher. Das garantiert, dass Appenzeller Käse authentisch bleibt und von
              niemandem kopiert werden kann. Echt und authentisch, das sind schon mal zwei
              Werte, die ein Produkt ungemein veredeln. Doch das Produkt kommt nicht von
              irgendwo her, sondern von einem Ort, der weit herum wie kein anderer die
              gefragte urchige und naturnahe Idylle verkörpert. So erhält das Produkt den
              Heiligenschein totaler Natürlichkeit. Und dafür, dass das so bleibt, sorgen die
              Ureinwohner dieser Idylle, die glücklicherweise als ziemlich stur gelten
              – sture Böcke verraten als letzte ein Geheimnis.
                 So ungefähr läuft das, weshalb Appenzeller Käse nicht nur in der Schweiz
              beliebt ist, sondern auch im nahen Ausland – sechzig Prozent der
              Produktion gehen in den Export, davon zwei Drittel nach Deutschland, wo
              Appenzeller der beliebteste Schweizer Käse ist. 
                 Wie mir Frau Krummenacher bei unserem ersten Gespräch erklärte, ist sie
              sich durchaus bewusst, dass der größere Teil des Erfolgs der Marke Appenzeller
              – sie schätzt den Anteil auf etwa drei Viertel – auf dem starken
              Image von Appenzell beruht, also auf den Werten Tradition und Natürlichkeit.
              Das letzte und damit entscheidende Viertel aber beruhe – sie ist in
              diesem Punkt zu Recht durchaus selbstbewusst – auf ihrer Innovation,
              nämlich der Verbindung zwischen Appenzell und Geheimnis. Ich stimmte ihr zu
              – Menschen lieben Appenzell, und sie lieben Geheimnisse, und wenn sie
              beides zusammen haben können, fahren sie voll darauf ab.